2. Komplexe e-Funktion

Komplexe Exponentialfunktion

Im Rahmen der Fourier-Transformation wird unter anderem folgender Zusammenhang nützlich.

Euler's Identität wird häufig als schönste Gleichung der gesamten Mathematik bezeichnet:

eπi+1=0e^{\pi i} + 1 = 0

Sie resultiert aus der Eulerschen Formel mit θ=π\theta = \pi:

eθi=cos(θ)+isin(θ)e^{\theta i} = \cos (\theta) + i \sin (\theta)

Intuitiv macht es jedoch wenig Sinn, eine Zahl (hier die Eulersche Zahl ee) hoch eine komplexe Zahl (hier θi\theta i) zu rechnen:

eθi=?ee...e1 mal?e^{\theta i} \overset{?}{=} \overbrace{ e \cdot e \cdot ... \cdot e }^{\sqrt{-1} \text{ mal?} }

Zudem ist fraglich, was das ganze mit der zuvor herausgestellten Polardarstellung komplexer Zahlen zutun hat:

Es gibt zahlreiche Beweise dieser Gleichung, welche aufzeigen, dass Gleichheit gilt, jedoch weiterhin das Mysterium des "Warum?" offen lassen. Im Folgenden soll geklärt werden, was diese Gleichung wirklich aussagt und nicht nur gezeigt werden, dass sie stimmt.

Beweis mithilfe von Differentialrechnung

Zunächst lässt sich ein sehr einfacher Beweis der Gleichheit begutachten. Dieser erfolgt über das Ableiten einer geschickt gewählten Funktion f(ϕ)f(\phi).

f(ϕ)=eiϕ(cos(ϕ)+isin(ϕ))f(\phi) = e^{- i \phi} (\cos(\phi) + i \sin(\phi))

Wenn man nun f(ϕ)f(\phi) nach ϕ\phi ableitet (mit der Produktregel), folgt:

f(ϕ)=eiϕ(icos(ϕ)sin(ϕ))ieiϕ(cos(ϕ)+isin(ϕ))=eiϕicos(ϕ)eiϕsin(ϕ)ieiϕcos(ϕ)+eiϕsin(ϕ)=0\begin{equation*} \begin{split} f'(\phi) &= e^{-i \phi} (i \cos(\phi)-\sin(\phi)) - i e^{-i \phi} (\cos (\phi) + i \sin (\phi))\\ &= e^{-i \phi} i \cos(\phi) - e^{-i \phi} \sin(\phi) - i e^{-i \phi} \cos (\phi) + e^{-i \phi} \sin (\phi)\\ &= 0 \end{split} \end{equation*}
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Produktregel: f(x)=u(x)v(x)f(x)=u(x)v(x)+u(x)v(x)f(x) = u(x) \cdot v(x) \Rightarrow f'(x) = u(x) \cdot v'(x) + u'(x) \cdot v(x) (Wikipedia: Produktregel (opens in a new tab))

Wenn die Ableitung f(ϕ)f'(\phi) immer 00 ist, dann muss f(ϕ)f(\phi) konstant sein (keine Steigung haben).

Da f(0)=1f(0) = 1 muss f(ϕ)=1f(\phi) = 1 für alle ϕ\phi (konstant). Es gilt also:

eiθ(cos(θ)+isin(θ))=1eiθ=cos(θ)+isin(θ)e^{-i \theta}(\cos (\theta) + i \sin (\theta)) = 1 \Leftrightarrow e^{i\theta} = \cos (\theta) + i \sin (\theta)

Die Gleichheit ist somit bewiesen. Ein Verständnis für die Gleichung wurde jedoch nicht entwickelt.

Definition der Exponentialfunktion

Die Betrachtung als eine Multiplikation von ee, θi\theta i-mal mit sich selbst ist problematisch.

Um ein Verständnis für diesen komplexen Exponenten zu entwickeln, muss man sich die Definition der Exponentialfunktion zur Basis ee vor Augen führen, bzw. die Entstehung der Konstanten ee nachvollziehen.


Im Folgenden gebe es eine Bank, welche zwei Möglichkeiten anbietet:

  1. 6%6 \% Zinsen pro Jahr
  2. 0.5%0.5 \% Zinsen pro Monat

Mit welcher Option hat man langfristig mehr Geld?


Diese Frage stellte sich auch Jacob Bernoulli im Jahr 1669.

Wenn man z.B. mit dem Geldbetrag 11€ startet und ein Jahr wartet, dann würde Folgendes passieren:

  1. Option: 1(1+0.06)=1.061\text{€} \cdot (1+0.06) = \textbf{1.06}
  2. Option: 1(1+0.005)(1+0.005)...(1+0.005)12 mal =1(1+0.005)121.06171\text{€} \cdot \overbrace{(1+0.005) \cdot (1+0.005) \cdot ... \cdot (1+0.005)}^{12 \text{ mal }} = 1\text{€} \cdot (1+0.005)^{12} \approx \textbf{1.0617}

Berechtigterweise lässt sich nun fragen, was passiert, wenn man das Jahr in nn kleinere Intervalle einteilt und in jedem Zeitintervall 6n%\frac{6}{n} \% Zinsen bekommt. Wenn man mit einem Betrag von 11€ startet, dann folgt für die den Geldbetrag nach einem Jahr:

B0.06(n)=1(1+0.06n)nB_{0.06}(n)=1\text{€} \cdot \left(1+\frac{0.06}{n}\right)^n

Wenn man das Zeitintervall also in immer kleinere Intervalle einteilt und somit noch mehr Gebrauch vom Zinseszins macht, kann man dann durch nn \to \infty immer mehr Geld bekommen?


nn1110101001001000100010410^410510^5
B0.06(n)B_{0.06}(n)1.061.061.0616\approx 1.06161.06182\approx 1.061821.06183\approx 1.061831.06184\approx 1.061841.06184\approx 1.06184

Es lässt sich erkennen, dass sich der Geldbetrag B0.06(n)B_{0.06}(n) immer geringfüger ändert. Dies ist natürlich kein Beweis, jedoch ein starkes Indiz dafür, dass sich der Wert einer Konstanten annähert.

Um das betrachtete Phänomen etwas zu verallgemeinern, betrachtet man nun einen beliebigen Zinssatz xx und lässt das Zeitintervall beliebig klein werden: limn\lim_{n\rightarrow\infty}.

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Eine formale Definition eines Grenzwertes: Wikipedia: Grenzwert (opens in a new tab)

Es gilt also für den Betrag in Abhängigkeit des Zinssatzes B(x)B(x):

B(x)=limn(1+xn)n sei m=nx=limn(1+1m)mx wenn n dann auch m=limm(1+1m)mx mit abc=(ab)c=limm((1+1m)m)x\begin{equation*} \begin{split} B(x) &= \lim_{n\to \infty} \left(1+\frac{x}{n}\right)^{n} \qquad | \qquad \text{ sei } m = \frac{n}{x}\\ &= \lim_{n\to \infty} \left(1+\frac{1}{m}\right)^{mx} \qquad | \qquad \text{ wenn } n \to \infty \text{ dann auch } m \to \infty\\ &= \lim_{m\to \infty} \left(1+\frac{1}{m}\right)^{mx} \qquad | \qquad \text{ mit } a^{bc} = (a^b)^c \\ &= \lim_{m\to \infty} \left(\left(1+\frac{1}{m}\right)^{m}\right)^{x} \end{split} \end{equation*}

Es scheint logisch sich den Wert des Terms limm(1+1m)m\lim_{m\to \infty} \left(1+\frac{1}{m}\right)^{m} separat anzuschauen, da dieser unabhängig von xx und somit konstant ist.


mm11228810010010410^410510^5
limm(1+1m)m\lim_{m\to \infty} \left(1+\frac{1}{m}\right)^{m}222.25\approx 2.252.566\approx 2.5662.705\approx 2.7052.718\approx 2.7182.718\approx 2.718

Es handelt sich wiederum um keinen Beweis, jedoch scheint es so zu sein, dass sich der Term einem ganz bestimmten Wert annähert. Es könnte natürlich so sein, dass der Term plötzlich bei einem noch größeren mm wieder von diesem Wert abweicht.

Ein rigoroser Beweis soll jedoch erspart bleiben. Genau dieser Wert wurde letztendlich als die eulersche Zahl e2.718e \approx 2.718 definiert. Somit lässt sich obiger Term umschreiben und von B(x)B(x) zu dem üblichen exp(x)\exp (x) umbenennen:

exp(x)=ex\exp (x) = e^x

Die Exponentialfunktion resultiert somit nicht aus der Idee von der wiederholten Multiplikation einer ominösen Konstante ee, welche letztendlich Probleme mit bestimmten Werten für xx (z.B. komplexen Zahlen) bereitet. Natürlich sind komplexe Zahlen als Zinsen auch unrealistisch. Es ist jedoch bekannt, wie man komplexe Zahlen dividiert, addiert und multipliziert und somit den Term limn(1+xn)n\lim_{n\to \infty} \left(1+\frac{x}{n}\right)^{n} mit xCx\in \mathbb{C} berechnen kann.

Imaginäre Zinssätze

Um wieder auf die Eulersche Formel zurückzukommen, müsste man nun betrachten, was passiert wenn x=θix = \theta i. Gemäß der obigen Definition der Exponentialfunktion folgt:

exp(θi)=eθi=limm((1+1m)m)θi=limn(1+θin)n\exp (\theta i) = e^{\theta i} = \lim_{m\to \infty} \left(\left(1+\frac{1}{m}\right)^{m}\right)^{\theta i} = \lim_{n\to \infty} \left(1+\frac{\theta i}{n}\right)^{n}

Beim Term z=1+θinz = 1+\frac{\theta i }{n} handelt es sich um eine komplexe Zahl mit (z)=1\Re(z) = 1 und (z)=θn\Im(z) = \frac{\theta}{n}. Diese Zahl wird somit nn mal mit sich selbst multipliziert. Ein imaginärer Zinssatz macht selbstverständlich wenig Sinn. Jedoch lässt sich damit die Verbindung zwischen der Exponentialfunktion und den komplexen Zahlen illustrieren. Im Folgenden lässt sich ausprobieren, wie sich exp(θi)\exp (\theta i) für verschiedene Approximationen und Winkel θ\theta verhält.

exp(θi)(1+0.13π3i)3\exp(\theta i) \approx \left(1 + \frac{0.13 \pi}{3} i \right)^{3}

n=3n = 3:
θ=0.39\theta = 0.39:

Es lässt sich eindeutig erkennen, dass sich der Term (1+θin)n(1+\frac{\theta i }{n})^n für immer größere nn, der komplexen Zahl mit dem Winkel θ\theta auf dem Einheitskreis annähert.

In Anwendung auf die reellen Zahlen, wurde ebenfalls deutlich, dass sich der Term (1+xn)n(1+\frac{x}{n})^n für immer größere nn einem bestimmten Wert annähert. Dabei liegen die Werte jedoch ausschließlich auf der Achse des \Re-Teils, da es keinen Imaginärteil gibt. Dieser Wert der Annäherung ergibt sich, wie zuvor herausgestellt, durch das kontinuierliche Hinzufügen von einem unendlich kleinen Anteil eines bestimmten Zinssatzes. Kontinuierlich bedeutet hierbei, dass die Zeitintervalle ebenfalls unendlich klein werden und es somit unendlich viele Zeitintervalle gibt.

Wiederholte Multiplikation einer komplexen Zahl

In Bezug auf komplexe Zahlen lässt sich der Term somit wie folgt verstehen. Eine komplexe Zahl zz wird unendlich oft mit sich selbst multipliziert. Dabei gilt für den Realteil und für den Imaginärteil

(z)=1(z)=limn(θn)\Re (z) = 1 \qquad \Im (z) = \lim_{n\to \infty} \left(\frac{\theta}{n} \right)

Um zu verstehen, was sich beim Potenzieren der komplexen Zahl z=limn(1+θin)z = \lim_{n\to\infty} (1+\frac{\theta i}{n}) ergibt, ist es sinnvoll die Polardarstellung zu ermitteln. Der Betrag wird durch das Potenzieren mit nn, ebenfalls nn potenziert, der Polarwinkel jedoch mit nn multipliziert (dies wurde in Komplexe Ebene herausgestellt).

Betrag

Der Betrag der resultierenden komplexen Zahl (limnzn\lim_{n\to\infty}z^n) entspricht dem Abstand vom Ursprung von zz, hoch nn:

limnrzn=limn(z)2+(z)2n Satz des Pythagoras =limn1+θ2n2n mit ab=ab2=limn(1+θ2n2)n2 mit (ab)c=abc=limn((1+θ2n2)n2)12n wenn n dann auch n2=limn(exp(θ2))12n mit exp(a)=ea=limneθ22n mit limnθ22n=0=e0=1\begin{equation*} \begin{split} \lim_{n \to \infty} r_z^n &= \lim_{n \to \infty} \sqrt{\Re(z)^2 + \Im(z)^2}^n \qquad | \text{ Satz des Pythagoras }\\ &= \lim_{n \to \infty} \sqrt{1 + \frac{\theta^2}{n^2}}^n \qquad | \text{ mit } \sqrt{a}^b = a^{\frac{b}{2}}\\ &= \lim_{n \to \infty} \left(1 + \frac{\theta^2}{n^2}\right)^{\frac{n}{2}} \qquad | \text{ mit } (a^b)^c = a^{bc}\\ &= \lim_{n \to \infty} \left(\left(1 + \frac{\theta^2}{n^2}\right)^{n^2}\right)^{\frac{1}{2n}} \qquad | \text{ wenn } n \to \infty \text{ dann auch } n^2 \to \infty \\ &= \lim_{n \to \infty} \left(\exp (\theta^2)\right)^{\frac{1}{2n}} \qquad | \text{ mit } \exp (a) = e^a\\ &= \lim_{n \to \infty} e^{\frac{\theta^2}{2n}}\qquad | \text{ mit } \lim_{n \to \infty} \frac{\theta^2}{2n} = 0 \\ &= e^0 = 1 \end{split} \end{equation*}

Die komplexe Zahl exp(θi)\exp(\theta i) muss also auf einen Betrag von 11 haben und somit auf dem Einheitskreis liegen.

Polarwinkel

Der Polarwinkel der komplexen Zahl z=1+θinz = 1+\frac{\theta i}{n} liegt für große nn extrem nah an θn\frac{\theta}{n}. Wenn man nun zz mit nn potenziert, dann folgt eine Addition der Winkel.

Somit liegt der Polarwinkel von znz^n für große nn extrem nah bei nθn=θn \cdot \frac{\theta}{n} = \theta. Dies soll kein mathematischer Beweis sein.

Die komplexe Zahl exp(θi)\exp(\theta i) muss also auf dem Einheitskreis liegen und den Polarwinkel von θ\theta einschließen.

Komplexe Zahlen auf dem Einheitskreis

Nun lassen sich Überlegungen anstellen, wie sich dieser Punkt auf dem Einheitskreis noch ausdrücken lässt. Hierbei kommen die trigonometrischen Funktionen ins Spiel.

Die trigonometrischen Funktionen sind buchstäblich durch den Einheitskreis definiert. Im kartesischen Koordinatensystem lässt sich ein Punkt auf dem Einheitskreis, welcher den Winkel θ\theta mit der xx-Achse einschließt mit (cos(θ),sin(θ))(\cos (\theta), \sin (\theta)) beschreiben.

Daraus folgt unmittelbar für die komplexe Ebene:

exp(θi)=eθi=cos(θ)+isin(θ)\exp (\theta i) = e^{\theta i} = \cos (\theta) + i \sin (\theta)

Dies entspricht der Eulerschen Formel, welche sehr nützlich ist um trigonometrische Zusammenhänge anders auszudrücken.


Im Gegensatz zum ersten Abschnitt auf dieser Seite, ist diese Argumentation kein richtiger Beweis. Jedoch sollte damit die Eulersche Formel plausibel erscheinen.

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weitere interessante Beweise: StackExchange: Math (opens in a new tab)

Folgerungen

In Bezug auf das Thema dieses Artikels wird die komplexe Exponentialfunktion häufig mit einem veränderlichen Parameter (wie z.B. Zeit tt) vorkommen.

e2πti=cos(2πt)+isin(2πt)e^{2 \pi t i} = \cos(2 \pi t)+i \sin(2 \pi t)

Dies lässt sich dann als eine Rotation verstehen, welche häufig mit einem Vektor bzw. Zeiger visualisiert wird:

Wenn der Zeiger bei 11 startet lässt sich erkennen, dass es sich beim Realteil um cos(2πt)\cos (2 \pi t) und beim Imaginärteil um sin(2πt)\sin (2 \pi t) handelt.

Wie würde sich der Zeiger e2πtie^{-2 \pi t i} verhalten (negatives Vorzeichen im Exponenten)?

Addition von verschiedenen komplexen Exponentialfunktionen

Gemäß der Addition von komplexen Zahlen lassen sich auf mehrere von tt abhängige Exponentialfunktionen addieren. Dabei lässt sich mit einem zusätzlichen Faktor die Frequenz anpassen:

e2πfti=cos(2πft)+isin(2πft)e^{2 \pi f t i} = \cos(2 \pi ft)+i \sin(2 \pi f t)

z.B. mit f1=14f_1 = \frac{1}{4}, f2=12f_2 = \frac{1}{2} und f3=1f_3 = 1

Multiplikation mit Koeffizienten

Interessant wird es, wenn man den Zeiger mit einer konstanten komplexen Zahl cc multipliziert. Dieser bestimmt die Länge des Zeigers, sowie die Phasenverschiebung bei t=0t=0, da e2π0i=1e^{2 \pi \cdot 0 \cdot i} = 1.

Mit welcher komplexen Zahl müsste man e2πtie^{2 \pi t i} multiplizieren um eine Phasenverschiebung von π2\frac{\pi}{2} hervorzurufen?